Der heilige Rosenkranz 4
Inhalt
1. Anleitung des heiligen Franz von Sales zum andächtigen Rosenkranz-Gebet
2. U. L. F. von Oropo
3. Unter dem Schutz Marias
4. Waffe im Kampf gegen die Hölle
5. Pater Klemens Maria Hofbauer, Redemptorist
6. Seppl Hofer
7. Eliodatus
8. Wider Willen gerettet
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(San Francisco de Sales, Francisco Bayeu y Subias 1734-1795, spanischer Maler)
1. Anleitung des heiligen Franz von Sales
zum andächtigen Rosenkranz-Gebet
Nachdem du dich in die Gegenwart Gottes versetzt hast, nimm deinen Rosenkranz zur Hand, mache dann das Kreuzzeichen und bete deutlich das Glaubensbekenntnis, voll Glauben an die zwölf Artikel. Bei dem großen Kügelchen, das neben dem Kreuz ist, bete zu Ehren der heiligsten Dreifaltigkeit ein Vaterunser. Bei den darauffolgenden drei kleinen Perlen bete drei Ave Maria zu Ehren der heiligen Jungfrau, indem du sie bei der ersten als Tochter des ewigen Vaters, bei dem zweiten Körnchen als Mutter des Sohnes und bei dem dritten als Braut des Heiligen Geistes begrüßt.
1) Vor dem Beginn es jeden Gesätzleins sollst du einige Augenblicke überlegen. Stelle dir z.B. bei dem ersten freudenreichen Geheimnis vor, du sähest den Erzengel Gabriel, der die heilige Jungfrau begrüßt und ihr die beglückende Botschaft von der Menschwerdung des ewigen Wortes verkündet. Bewundere an diesem Geheimnis die Güte, Weisheit, Macht und Gerechtigkeit Gottes. Danke ihm, dass er den sündigen Menschen durch eine solch wunderbare Erniedrigung ein Heilmittel verschaffte. Richte an ihn das Vaterunser, grüße durch die zehn Ave Maria die seligste Jungfrau mit denselben ehrfurchtsvollen Gefühlen, von denen der Engel durchdrungen war, als er sie anredete, und bete Jesus, das menschgewordene Wort, an.
Bei dem zweiten Gesätzchen betrachte die heilige Jungfrau, wie sie das göttliche Kind unter ihrem Herzen trägt und die Berge Judäas überschreitet, um ihre Base, die heilige Elisabeth, zu besuchen. Lobpreise die Nächstenliebe des Sohnes und der Mutter, indem du das Vaterunser und die zehn Ave Maria betest.
Beim dritten Absatz stelle dir den neugeborenen Jesus in der Krippe vor, wie er zwischen zwei Tieren, Ochs und Eselein, auf ein wenig Stroh gebettet liegt. Bewundere seine Armut, Sanftmut und Demut. Bete dem göttlichen Kind zu ehren das Vaterunser und verherrliche es mit der heiligen Jungfrau durch die zehn Ave Maria.
Beim vierten Gesätzlein stelle dir die allerseligste Jungfrau vor, wie sie das Jesuskind im Tempel darbringt, um dem Gesetz Folge zu leisten. Bete Jesus mit Simeon durch das Vaterunser an. Preise das Kind und die Mutter durch die zehn Ave Maria. Bewundere den menschgewordenen Sohn Gottes, der sich gleich vom ersten Tag der Geburt an seinem Vater für unsere Sünden zum Opfer bringt.
Beim fünften Gesätzlein erwäge die Freude der göttlichen Mutter und des heiligen Joseph, als sie Jesus im Tempel inmitten der Schriftgelehrten wiederfanden. Bewundere die Schätze seiner Wissenschaft und Weisheit. Lobpreise seinen Gehorsam, der ihn veranlasst, zu seinen Eltern zurückzukehren. Bete ihm zu Ehren das Vaterunser, und freue dich mit Maria und Joseph über sein Wiederfinden. Zu diesem Zweck bete die zehn Ave Maria.
2) Beim ersten schmerzhaften Geheimnis stelle dir den von Traurigkeit darniedergedrückten, blutschwitzenden und Todesangst erduldenden Jesus am Ölberg vor.
Beim zweiten lass dich durch den Anblick des entkleideten, an eine Säule gebundenen und grausam gegeißelten Jesus rühren.
Bei dem dritten betrachte, wie Jesus mit Dornen gekrönt und sein heiliges Antlitz mit Speichel bedeckt ist.
Beim vierten folge ihm, wie er sein Kreuz auf Kalvaria trägt, begleitet von zwei ebenfalls zum Tod verurteilten Räubern und einer zahlreichen Volksmenge, die ihn mit Verwünschungen überschüttet.
Beim fünften fasse ihn ins Auge, wie er mit dicken Nägeln, die seine Hände und Füße grausam durchbohren, an das Kreuz geheftet ist. Richte das Vaterunser jedes Absatzes an Jesus. Erwecke in deinen Herzen Gefühle der Betrübnis, des Mitleids, des Abscheus vor der Sünde und der Reue über deine eigenen Vergehen. Lobpreise und bewundere durch die zehn Ave Maria jedes Gesätzleins die Geduld, den Gehorsam und die Sanftmut, die Jesus Christus bei allen seinen Peinen übte. Stelle dir auch vor, du sähest die heilige Jungfrau bei der Passion ihres Sohnes gegenwärtig. Habe Mitleid mit ihr. Bitte sie, sie möge Jesus Christus deine Tränen, deinen Schmerz, deine Reue, dein Mitleid und deine Dankbarkeit darbringen.
3) Beim ersten glorreichen Geheimnis betrachte den aus dem Grab hervorgehenden, glorreich auferstandenen Jesus und die seligste Jungfrau, die beim Anblick ihres, wie die Sonne strahlenden Sohnes von einer unaussprechlichen Freude erfüllt ist.
Beim zweiten Geheimnis bewundere den im Triumph zum Himmel auffahrenden Jesus, den die Chöre der seligen Geister und die Seelen der durch ihn aus der Vorhölle befreiten Gerechten des Alten Bundes begleiten. Freue dich mit Jesus und Maria. Beglückwünsche sie in der Hoffnung, nach deiner künftigen Auferstehung einst mit ihnen im Himmel zu herrschen.
Beim dritten Geheimnis lobpreise die Allmacht und Liebe des glorreichen Heilandes, der seinen Jüngern den Heiligen Geist sendet, um sie zu unterrichten und mit heiligem Eifer zu beseelen, damit sie seinen Namen überall verkünden und sein Reich über die ganze Erde ausbreiten.
Beim vierten und fünften Geheimnis stelle dir die vom Tod erstandene heilige Jungfrau vor, wie sie mit Leib und Seele in den Himmel eingeführt und als Königin der ganzen Welt gekrönt wird. Bewundere sie, beglückwünsche sie wegen der Glorie, zu der Gott sie erhoben, und wegen der unumschränkten Macht, die er ihr zu unseren Gunsten verliehen hat.
Siehe, auf diese Art betete der heilige Franz von Sales den Rosenkranz! Ist diese Methode nicht ein sichtbarer Beweis von der Wertschätzung, die er von ihm hegte? Um seine Gebetsweise zu vervollständigen, wollen wir auch die Tugenden beifügen, die er an jedes Geheimnis knüpfte.
1) Aus der Verkündigung kann die Seele die Demut schöpfen; aus der Heimsuchung die Nächstenliebe; aus der Geburt Jesu die Liebe zur Armut; aus der Darstellung im Tempel oder der Reinigung den Gehorsam; aus der Begegnung Jesu in Jerusalem das auf ihn allein gerichtete Streben.
2) Bei der Todesangst Jesu kann man die Tugend der Ergebung betrachten und darum bitten; bei seiner Geißelung die Geduld; bei seiner Dornenkrönung die Abtötung; bei seinem Gang nach Golgatha erwecke man das Mitleid; bei seiner Kreuzigung bitte man um Beharrlichkeit.
3) Bei dem Geheimnis der Auferstehung Jesu kann man um Bekehrung bitten; bei der Himmelfahrt um Losschälung vom Irdischen; bei dem Geheimnis der Herabkunft des Heiligen Geistes über die Apostel um die Zurückgezogenheit oder Liebe zur Einsamkeit; bei der Aufnahme der heiligen Jungfrau in den Himmel um Vereinigung mit Gott; bei der Krönung Mariens um Vertrauen auf sie.
Das sind die fünfzehn Geheimnisse des Rosenkranzes, die so viele Heilige betrachtet und aus denen sie ihre heldenmütigen Tugenden geschöpft haben. Der heilige Thomas von Villanova, der heilige Ignatius, der heilige Franz Xaver, der heilige Franz von Borgia, der heilige Papst Johannes Paul II., die heilige Theresia, die heilige Katharina von Siena, die heilige Rose von Lima, die heilige Mutter Theresa von Kalkutta und viele andere versäumten es nie, täglich den heiligen Rosenkranz zu beten und die Wahrheiten zu erwägen, die er uns ins Gedächtnis ruft. Der heilige Alphons hatte sogar das Gelübde gemacht, alle Tage den Rosenkranz zu beten, und in seinem Alter war das gewissermaßen seine einzige Beschäftigung: er betete ihn vom Morgen bis zum Abend. Bitten wir die dieser Andachtsübung am meisten ergebenen Heiligen, uns eine besondere Neigung zum Beten des Ave Maria zu erlangen.
2. U. L. F. von Oropo
Eine ganz außerordentliche Gnade wurde vor einiger Zeit einem Priester in dem Heiligtum von U. L. F. in Oropo (Oropos), nördlich von Athen, in Griechenland, zuteil Diese Gnade zeigt uns, dass die allerseligste Jungfrau an diesem Ort besonders geehrt und angerufen sein will, zugleich aber auch, dass sie an ihren berühmtesten Wallfahrtsorten ihre Segnungen besonders an den Rosenkranz geknüpft hat. Die folgende Geschichte ist einem im Jahr 1864 erschienenen Schriftchen von dem Turiner Gelehrten Cajetan Costanagra entnommen, der sie nach den eigenen Berichten des begnadeten Priesters wörtlich wiedergibt.
Er erzählt, dass jener Priester - wie dieser selbst ihm eidlich versichert - während mehr als sechs Jahre durch allerlei Schrecken und Verwirrung, durch Trostlosigkeit, Trockenheit, Ängsten, Kopfleiden, Skrupel und ähnliche Ungeheuerlichkeiten von Gott geprüft worden sei, dass er mehr als einmal auf dem Punkt gestanden, in Verzweiflung zu geraten und den Verstand zu verlieren. Das gewöhnliche Mittel gegen diese Übel war seine Zuflucht zu Maria. Die Hilfe, die er von ihr empfing, war indes stets eine solche, dass er mit seinen Sinnen nichts davon verspüren konnte und weder Trost, noch Ergebung und Kraft zur Erfüllung seiner Pflichten erfuhr.
Trotzdem unterließ er die Predigt und das Gebet niemals, obwohl es ihm nur verlorene Zeit zu sein schien. Es kam ihm immer seltsam und wunderlich vor, wenn er andere zum Vertrauen ermunterte, während seine eigene Seele von einer unsäglich ängstlichen Unschlüssigkeit und Verwirrung beherrscht war, wenn er den Beichtenden die Wonne der Gnade mitteilte, während er selbst in der Stille seines Herzens nur weinen und seufzen konnte, dass er seinen Gott nicht zu finden vermochte, wenn er die Seelen zur Verehrung der Gottesmutter antrieb, während er selbst an ihr das Wunderbare und Tröstliche zu empfinden nicht imstande war! O tiefe Nacht! Welche Tränen, welche Seufzer! Selbst der Himmel schien von Erz zu sein. Die Beicht und Kommunion ließen ihn kalt nach wie vor. Es kam ihm vor, als wäre er von Gott verstoßen und verlassen von Maria, seiner Mutter. Aber dennoch besuchte er sie alle Jahre in ihrem Heiligtum zu Oropo und brachte dort mehrere Tage zu ihren Füßen zu.
Endlich schien der Himmel sich aufzuheitern: die geschlossene Bahn öffnete sich, die Ruhe und der Friede kehrten wieder zurück und zwar in der Stunde, in der der gute Priester es am wenigsten erwartete, plötzlich, auf einmal, in einem Augenblick. Aber wann denn und unter welchen Umständen? In dem Augenblick, als er den Rosenkranz der allerseligsten Jungfrau betete. Sein Herz tat sich auf, seine eherne Seele wurde weich, wie geschmolzenes Wachs, und öffnete sich voll himmlischer Tröstungen den Gesinnungen des kindlichen Vertrauens und der zärtlichsten Liebe zu Gott und Maria. Welche süße Überraschungen, welche himmlische Augenblicke nach den vielen Tagen und Jahren eines schrecklichen Fegfeuers, um nicht zu sagen der Hölle! Die Gottesmutter ist unsere Mutter und die weise Lehrerin in den Geheimnissen der Herzen und in der Tugend des Kreuzes.
So weit der genannte Verfasser. Wir wiederholen seine Worte: Aber wann und unter welchen Umständen ist dieser wunderbare Wechsel vor sich gegangen? In dem Augenblick, als dieser Priester den heiligen Rosenkranz der allerseligsten Jungfrau betete. In den geistigen Leiden wollen auch wir unsere Zuflucht nehmen zum heiligen Rosenkranz, in ihm finden wir stets den gewünschten Trost. Der berühmte Dr. Navarrus bemerkt: "Man weiß aus Erfahrung, dass der Name des heiligen Rosenkranzes ganz eigentümlich zu dieser Andacht passt. Gleichwie ein mit Blüten besetzter Rosenstrauch einen wunderlieblichen Geruch aushaucht: so wird die ganze Seele desjenigen, der sich für die Andacht des heiligen Rosenkranzes begeistert, bald mit einer Freude und Wonne erfüllt, die nur den Dienern Mariä eigen ist."
(Aus: Marianischer Psalter, 12. Heft, 1884)
3. Unter dem Schutz Marias
Der heilige Felix von Cantalicio, Laienbruder der Kapuziner, musste täglich Sammlungen in der Stadt anstellen. Bei seinen Gängen hatte er manche Gefahr auszustehen, die seiner Seele drohte; aber er blieb immer unversehrt. Das Schutzmittel gegen diese Gefahren war ihm der Rosenkranz. Wenn er mit seinem Gefährten das Kloster verließ, sprach er: "Jetzt, lieber Bruder, den Rosenkranz in die Hand, die Augen niedergeschlagen und mit dem Geist in den Himmel auf!" Täglich betete er auch sonst noch den Rosenkranz mit der größten Geistessammlung. Es war ihm von Herzen zuwider, wenn die Ave bloß mit dem Mund hergesagt wurden.
4. Waffe im Kampf gegen die Hölle
Der gottselige Januarius Maria, Redemptorist, hatte die Gewohnheit, beim Schlafengehen sich den Rosenkranz um den Arm zu wickeln, um sich seiner liebenswürdigen Königin auch während der Nacht zu erinnern. Er vertraute einem seiner Freunde an, dass er bei seinen größten Mühen und Kämpfen gegen die Hölle sich immer außerordentlich gestärkt fühle, wenn er den Rosenkranz in den Händen halte.
(Aus: P. A. Scherer, Exempel-Lexikon, III. Band, S. 874)
5. Pater Klemens Maria Hofbauer, Redemptorist
Dieser heilige Priester war das erste deutsche Mitglied des vom heiligen Alphons von Liguori gestifteten Redemptoristenordens und der Begründer dieses Ordens in Deutschland. Wie sein Stifter, so betete auch er immerfort, wenn er auf der Straße war, in der Stille den Rosenkranz. Er nannte ihn "seine Bibliothek und sein kräftigstes Mittel zur Bekehrung der Sünder und besonders der Sterbenden". Er pflegte zu sagen: "Wenn ich zu einem Kranken gerufen werde, wo ich zum voraus weiß, dass er zur Beicht nicht vorbereitet ist oder durchaus von der Beicht nichts wissen will, so bete ich unterwegs den Rosenkranz, und es geht alles nach Wunsch und Willen, sobald ich dahin komme. Glaubt mir, die heilige Mutter Gottes wirkt alles, und niemand wird verlassen, der sie wahrhaft um ihre Fürbitte anruft." Einst kam er ganz ermattet aus einer Vorstadt Wiens nach Hause und erzählte, er sei bei einem Kranken gewesen, der seit siebzehn Jahren nicht mehr gebeichtet habe, aber doch sehr reuevoll gestorben sei. "Ja," sagte er, "da geht es schon gut, wenn einer weit in der Vorstadt wohnt, denn da habe ich unterwegs Zeit, den Rosenkranz zu beten, und ich wüsste nicht, dass ein Sünder sich nicht bekehrt hätte, wenn ich vorher Zeit hatte, den Rosenkranz zu beten."
(Aus: Marianischer Psalter, 8. Heft, 1884)
6. Seppl Hofer
Aus tausend Vogelkehlen schmetterte es, und mit tausend Blumenaugen lachte der Frühling ins Land hinein. Das war ein Singen und Klingen, ein Blühen und Sprießen, dass selbst die trockenste Brust sich erweiterte und das Auge der Trauer in neuem Glanz aufleuchtete. Von den Bergen Tirols, deren Gipfel noch die Eismützen und Schneeturbane trugen, hüpften glänzende Bächlein gleich flüssigen Silberfäden in die Tiefen, so dass selbst der sonst wasserarme Dorfbach übermütig schäumte und rauschte. Die Tannen hatten in ihr dunkles Nadelkleid neue Blütenkerzchen gewoben, und die Kastanienbäume glichen mit ihren roten und weißen Blumenkerzen großen Christbäumen, die der liebe Gott zur Freude der bedrückten Menschenherzen angezündet.
Es war eine trübe Zeit damals, in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, als nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges das zerrissene deutsche Vaterland aus tausend Wunden blutete. Alles lag danieder, die Gewerbe und die Geschäfte: das Vertrauen fehlte, denn die Kriegsfurcht lag noch immer wie giftiger Mehltau auf den Herzen der Deutschen, deren schönes Land eine Beute raubgieriger Abenteurer geworden war. Von Nationalgefühl und Vaterlandsliebe war keine Spur mehr vorhanden und, was das Schlimmste war, auch die Zucht und gute Sitte, Glaube und Religion waren mit Füßen getreten und von den wilden Kriegshorden, die aus Schweden und Frankreich, aus Spanien und Holland gekommen waren, den Deutschen aus dem Herzen gespottet worden. Es war eine wirre, unselige Zeit, deren böse Nachwehen noch Jahrzehnte lang andauerten.
In dem Dörfchen Gasteig in Tirol, das aus etlichen strohgedeckten Lehmhütten bestand, wohnte der Bauer Maxl Hofer mit seiner Tochter. Die Mutter war längst hinübergeschlummert in ein besseres Land, wo keine wüste Soldateska den friedliebenden Bürger plagt und keine Kanonen Tod und Verderben speien. Hofer war alt und kränklich, aber sein Hauswesen war gut bestellt: dafür sorgte Resi, ein kluges, wackeres Mädchen von zwanzig Jahren, das gut erzogen und eine Freude des Vaters und aller war, die sie kannten. Die Kriegswirren hatten das abgelegene Dörfchen nur einmal vorübergehend heimgesucht, und so war es gekommen, dass die Kuh und die Geis dem Bauer noch im Stall standen und nicht von den Schweden geraubt worden waren.
Die Resi aber war nicht das einzige Kind des alten Hofer; er hatte noch einen Sohn mit Namen Seppl, einen prächtigen Burschen, der um ein Jahr älter war, als seine Schwester und in Salzburg ein tüchtiges Handwerk erlernt hatte. Seppl war Kupferschmied, allein seit er die Lehre bestanden, hatte er infolge der Kriegswirren unfreiwillig feiern müssen. Er war in das Heimatdörfchen zu seinem Vater zurückgekehrt, aber in Gasteig gab es nichts zu hämmern und zu schmieden, und niemand war froher, als Seppl, als er nun durch Vermittlung der Zunft Arbeit bei einem Meister in Nürnberg erhielt. Das war für die damalige Zeit, wo es keine Eisenbahnen und Postwagen gab, eine weite Reise, aber ein junges Blut wandert frohgemut auf Schustersrappen, das gefüllte Ränzel auf dem Rücken, den derben Knotenstock in der Hand, in die weite Welt hinaus. Heutzutage ist das Wandern durch die Eisenbahnen verdrängt worden, aber damals sah der fröhliche Wanderbursche noch etwas von der schönen Gotteswelt mit ihren hohen Bergen und blauen Seen, den rauschenden Flüssen und alten Städten; sie flogen nicht wie gespenstische Schatten an seinem Auge vorüber.
Es war an einem schönen Frühlingstag, kurz nach Ostern, als Seppl seinem Vater, der gichtkrank in den Kissen lag, die Hand zum Abschied drückte. "Zieh mit Gott, mein Bub," sagte der Vater, "bleib brav und komm als Meister und Mann zurück. Betrag dich so, dass du deinem Vater immer frank und frei ins Auge sehen kannst."
Seppl versprach es und trat in die Wohnstube, wo Resi mit rot geweinten Augen den Ledersack des Bruders zuschnürte. Sie hatte Seppl gern, und der Abschied auf lange, ungewisse Zeit tat ihrem weichen Herzen weh.
"Was meinst du, Resi?" fragte er, während er den Mantel über die Schultern warf und den runden Filzhut mit der Hahnenfeder drauf keck auf den hellblonden lockigen Kopf setzte.
Die Schwester reichte ihm den Ledersack und sagte, vertraulich die Hand auf die Schulter des Bruders legend: "Seppl, ich will dir ein Andenken mitgeben, das mir das Liebste von allem ist, was ich habe. Willst du es treu in Ehren halten und benutzen?"
"Was ist es, Resi?"
"Der Rosenkranz unserer seligen Mutter, den sie mir sterbend in die Hand drückte. Sie hat ihn alle Tage gebetet." Mit diesen Worten ließ das Mädchen den Rosenkranz mit dem Hornkreuzchen und den alten, schwarzen Holzperlen in das Lederbeutelchen gleiten, das Seppl am Gürtel trug.
"Bist ein braves, gutes Mädchen," sagte der Bruder bewegt, "das Andenken der Mutter soll mir teuer und heilig sein." Er schritt davon, hinaus in die blühende Natur, Resi gab ihm das Geleit bis an das letzte Häuschen des Dorfes und blickte Seppl so lange nach, bis eine Biegung des Weges ihn ihren Blicken entzog.
Rüstig stieg der Bursche die Anhöhe hinan. Drüben grüßten die schneebedeckten Alpenriesen, deren Täler und Schluchten er durchwandern musste. Der Abschied vom alten Vater und der fürsorglichen Schwester hatte auch ihn weicher gestimmt, als er sich den Anschein gegeben, aber hier in der frischen Bergesluft, wo die Lerchen ihn umtrillerten, wo die Blumen ihre bunten Köpfchen aus dem grünen Rasenteppich hoben und ihn grüßten, wo hoch oben am stahlblauen Himmel ein Adler weite Kreise zog und unten buntfarbige Schmetterlinge gaukelten, da dehnte sich des jungen Mannes Brust, und einen hellen Jodler sang er so laut und fröhlich, dass die grauen Felswände das Echo zurückwarfen.
Monate waren vergangen. Seppl Hofer hatte längst in der alten Stadt Nürnberg seinen Einzug gehalten und lohnende Beschäftigung gefunden. Aber so kurz die Trennung von der Heimat auch war, so groß war die Veränderung, die mit dem Kupferschmiedegesellen vor sich gegangen. Seppl war in böse Gesellschaft geraten, und diese war nicht ohne Einfluss auf sein sittliches und religiöses Leben geblieben. Verlotterte Menschen, die die Kriegszüge zum Teil mitgemacht und auf ihnen ein wildes, lockeres Leben geführt hatten, waren seine Kumpane. Anfangs hatten ihre Ansichten und Redensarten ihn entsetzt und abgestoßen, allmählig aber fand er Gefallen an den schlechten Witzen und Spöttereien. Er wollte sich nicht sagen lassen, dass er ein "Muttersöhnchen" sei und von der Welt nichts kenne, und so stimmte er nach und nach in einen Ton ein, der grundverschieden von dem war, den seine fromme Mutter und der Ortspfarrer ihn gelehrt.
Es war an einem unfreundlichen Herbstabend. In einer rauchgeschwärzten, niedrigen Bierstube saßen auf hölzernen Bänken um einen schweren eichenen Tisch herum sechs verwegene Gestalten und unter ihnen Seppl Hofer. In der Mitte des Tisches stand ein eiserner Leuchter mit einer Kerze und die Lichtputzschere hing, an einem Kettchen befestigt, auf die Tischplatte herab.
"Seppl macht sich," lachte roh einer der Gesellen, dessen Kleidung teilweise noch an das Lagerleben erinnerte. "Er glaubt wenigstens nicht all das dumme Zeug mehr, das ihm vorgeschwatzt wurde. Brav, Kamerad, du schreitest voran! Sollst leben!"
Seppl nickte und die übrigen stimmten mit heiseren Kehlen in das Hoch ein. "Ist ja alles Firlefanzerei," rief ein anderer. "Der Schwedenkönig Gustav Adolf kam nach Deutschland, um unter dem Deckmantel der Religion das Land zu unterjochen und Kaiser von Deutschland zu werden, und die Pfaffen brauchen die Religion als Deckmantel, um die dummen Bauern zu knechten und Kaiser im Dorf zu sein!"
"Und da sollen wir ehrliche, brave Menschen sein," fiel ihm ein anderer ins Wort, "sollen nicht stehlen, hübsch gehorchen, nicht begehren des Nächsten Weib, Haus und Acker! Haha! Wer stielt denn mehr, als die Großen? Für wen haben wir uns geschlagen? Hab gesehen und miterlebt, was alles die hohen Herrn, die Franzosen und Schweden, fortgeschleppt haben. Da war nichts sicher, weder in Schränken, noch Truhen, weder in Küche, noch Keller; aber das Volk, das simple Volk, das soll die Gebote achten und sich am Gängelband führen lassen. Eine neue Zeit ist angebrochen, und wir wollen nicht zurückbleiben."
"Ich habe einen guten Gedanken," mischte sich ein rothaariger Bursche mit einer breiten Narbe auf der Stirn hinein. Er dämpfte seine Stimme zum Flüsterton: "Wie wär es, wenn wir dem Kloster am Kreuzeck einen Besuch abstatteten? Für andere haben wir gestohlen, für uns selbst noch nichts. Oder ist das Stehlen nur im großen erlaubt? He? Mein Beutel ist bald leer, und das Kloster ist reich; es hat Wein, goldene Kelche und silberne Muttergottesherzen. Mit den Nonnen und dem alten Küster werden wir bald fertig. Was sagt ihr dazu, Leute?"
Lauter Beifall begrüßte den Vorschlag, und die Einzelheiten des Planes wurden besprochen. Das Kloster liegt einsam, hieß es, Gefahr ist nicht vorhanden. Die Mauer sollte mit einer Leiter überstiegen, das Tor von innen geöffnet, die Nonnen geknebelt und dann alles fortgeschleppt werden, was nicht niet- und nagelfest sei. Schon am folgenden Abend wollte man zur Tat schreiten, und die Bande bestimmte den Ort und die Stunde des Stelldicheins.
"Bist doch auch dabei, Seppl?" hieß es. Er nickte.
Mit müdem Kopf und halbtrunken war der Geselle in sein Quartier zurückgekehrt. Sein Abendessen, eine zinnerne Schüssel mit Hirsebrei, stand kalt auf dem Tisch. Erst jetzt erinnerte er sich, dass er noch nicht zunacht gespeist hatte; aber der Appetit war ihm vergangen. Die wüsten Reden und der Anschlag gingen ihm im Kopf herum. Er sollte mithelfen, armen Nonnen, die ihr Leben Gott geweiht hatten, ihren Mitmenschen nur Wohltaten erweisen, Kranke pflegen und für Sünder beten, ihre geringe Habe zu rauben! So weit war es mit ihm schon gekommen?
Er wankte durch die Stube, trat an den Tisch heran und öffnete die Lade, um sein Lederbeutelchen hineinzulegen. Da stutzte er plötzlich, wie wenn ihm ein unsichtbarer Schlag versetzt worden wäre. Sein Auge war auf einen kleinen, schwarzen, unscheinbaren Gegenstand gefallen, auf den Rosenkranz seiner Mutter, den er vor Wochen lachend in die Schublade geworfen hat, denn das Rosenkranzgebet passte ihm nicht mehr in sein jetziges Treiben. Seine Augen hafteten minutenlang auf den Holzperlen und dem Hornkreuz, die hundertmal durch die Hände seiner guten Mutter geglitten und von ihr an die Lippen gedrückt worden waren.
Seppl war plötzlich nüchtern geworden. Er stöhnte tief auf und umklammerte mit beiden Händen die Tischplatte; ein Beben ging durch seine Glieder. Die Rosenkranzkörner schienen zu wachsen und er glaubte, seine tote Mutter zu erblicken, wie sie mit drohend erhobenem Finger und Tränen in den Augen vor ihm stand. Er erinnerte sich seiner Kindheit, wie er an der Hand der Mutter zur Dorfkirche ging und dort fromm betete und dem greisen Pfarrer bei der hl. Messe diente. Er hörte die Worte, die der Pfarrer und seine Mutter ihm eingeschärft hatten, nie vom rechten Weg abzuirren und nie am Glauben zu zweifeln. Er erinnerte sich, wie freundlich und liebevoll die Kapuziner-Patres in dem benachbarten Kloster ihn stets aufgenommen und mit Obst und sonstigen Gaben erfreut hatten, und jetzt sollte er seine Hand frevelnd nach Klostergut ausstrecken? "Mutter!" hauchte er leise und sank auf die Knie. Das Gesicht legte er in beide Hände und zwischen den Fingern tropften heiße Tränen durch. "Nein," sagte er sich, "so schlecht bin ich nicht! Ich habe schwer gefehlt, ich habe an Hohn und Spott über alles Heilige Gefallen gefunden, meinen Glauben halb verloren, den schönen Glauben meiner Väter, in dem sie gelebt und gestorben, in dem ich so glücklich war! Aber noch ist es nicht zu spät. Ich kehre zurück auf den Weg, den ich in der Jugend gegangen bin. Ich habe es ja erfahren: wo kein Glaube ist, da ist auch keine Tugend, und selbst vor Verbrechen scheut der Mensch nicht zurück, der keine Religion mehr im Herzen hat!"
Es war still geworden in der Kammer; draußen blies der Wächter auf seinem Horn die Mitternachtsstunde. Seppl stand auf und tastete mit zagender Hand nach dem Andenken der Mutter, das in der schweren Stunde der Versuchung sein Retter geworden.
Nach einer schlaflosen Nacht erhob sich Hofer vom Lager, sein Entschluss stand fest. Er selbst war nicht nur ein anderer Mensch geworden, er war auch entschlossen, die geplante Untat zu verhüten. Es war noch früh am Tag, als er dem Pfarrer des Sprengels seine Verirrung bekannte und ihm gleichzeitig Mitteilung von dem beabsichtigten Klosterraub machte. Der Geistliche wies ihn an die städtische Obrigkeit. Der Rat traf sofort Vorkehrungen, um nicht nur das bedrohte Nonnenkloster zu schützen, sondern auch die Räuber zu fangen. Als dieselben am Abend die Mauern überstiegen, wurden sie nach kurzer Gegenwehr niedergeworfen und gefesselt in die Verließe der Stadt abgeführt. Nach dem kurzen Verfahren der damaligen Zeit wurde ihnen bald der Prozess gemacht.
Seppl hielt seinen Schwur: er war von der Stunde an wieder, was er gewesen, bevor die verkommenen Gesellen ihm das Gift des Zweifels, des Unglaubens und der Sittenlosigkeit in die Seele geträufelt, ein braver Christ und ein fleißiger Mensch. Als er später nach Gasteig zurückkehrte, schloss er seine Schwester Resi an sein Herz mit den Worten: "Dir und dem Rosenkranz der Mutter verdanke ich meine Rettung aus großer Gefahr: die Rettung meiner Seele, meines Glaubens und meines ehrlichen Namens!" Dann erzählte er der guten Resi alles, und diese drückte einen heißen Kuss auf die Perlen des alten Rosenkranzes.
Seppl war ein Urahne des edlen Freiheitshelden Andreas Hofer, der, am 20. Februar 1810 zu Mantua erschossen, den Tod fürs Vaterland starb. Die Familie des wackeren Patrioten wurde später geadelt. Eine Urenkelin dieses Helden, Fräulein Charlotte Edle v. Hofer, hat unlängst den Entschluss gefasst, den Schleier zu nehmen. Die Genannte ist die Tochter des Vorstandes des österreichischen Reichs-Finanzarchives Karl v. Hofer in Wien und bildete sich am dortigen Konservatorium für Musik zu einer vollendeten Klavier-Virtuosin aus. Nach glänzend bestandener Prüfung trat sie die Stelle einer Musiklehrerin in dem Erziehungsinstitut der aus Berlin vertriebenen Ursulinerinnen zu Grulich in Böhmen an, und hier reifte der schon lange gehegte Wunsch, ihr ferneres Leben der Kirche zu weihen, zum festen Entschluss. Am 3. Mai 1884 vollzog der Redemptoristenpater Antonius Egger den Akt der Einkleidung zur Novizin. Fräulein Charlotte v. Hofer führte im Kloster den Namen Schwester Maria Josepha.
(Aus: Marianischer Psalter, 10.-12. Heft, 1885)
7. Eliodatus
Im Krieg der spanischen Christen gegen die Sarazenen im Königreich Granada wurde Eliodatus, der Sohn eines türkischen Hauptmanns, gefangen und in Compostela verkauft. Kaum 20 Jahre alt, empfand der hoffnungsvolle Jüngling, dem die ganze Welt sich eben zu öffnen angefangen, sein Unglück um so schmerzlicher, als er plötzlich aus einem vornehmen Herrn der ärmste Sklave geworden war. Auch verbreiteten die Wunden, die er im Krieg erhalten hat, einen so unerträglichen Geruch, dass niemand in seiner Nähe zu verweilen vermochte. Dazu quälte ihn der Satan ohne Unterlass mit dem Bild der für ihn bereits offen stehenden Hölle, so dass er in der Hoffnung, verschont zu bleiben, den Teufel selbst um Hilfe anrief. Aber so fehlte ihm erst recht der Trost und die Ruhe. In diesem schrecklichen Elend suchte er sich das Leben zu nehmen; zum Glück jedoch reichten seine Kräfte und die ihm zu Gebote stehenden Mittel nicht hin.
Von diesem Jammer erhielt St. Dominikus Kunde, und alsbald begab er sich in seinem brennenden Seeleneifer eiligst auf die Reise nach Compostela. Hier fand er den Kranken, und nachdem er ihn liebevoll begrüßt und sein Vertrauen gewonnen hatte, sprach er zu ihm: "Willst du wieder gesund werden, so lasse dich taufen und werde Christ." "Mitnichten," erwiderte der Armselige; "nie werde ich den Grundsätzen und Lehren meiner Eltern untreu werden." Nach dieser entschiedenen Abweisung fuhr der Heilige fort: "Wohlan denn, wenn du nicht Christ, aber dennoch recht bald wiederhergestellt sein willst, so will ich aus Mitleid dich zwei tröstliche Liedlein lehren, welche eine wunderbare Kraft besitzen, wenn du sie täglich hundertfünfzig Mal wiederholst." "Das will ich gerne tun," sagte Eliodatus, "wenn in denselben nur nichts enthalten ist gegen meine Religion." "Diese Liedlein, mein Sohn," sprach Dominikus, "sind in keiner Weise gegen das Gesetz Gottes. Sie können dir unmöglich schaden, weil sie nur zu helfen und zu nützen vermögen." "Wenn in ihnen nichts vom Christengott, d.i. von Jesus und seiner Mutter Maria, vorkommt, dann bitte ich dich, mich diese Gesänge zu lehren." "Der Muselmann glaubt," so erwiderte der Heilige, "dass Christus wenigstens ein großer Prophet und seine Mutter eine gar heilige Frau gewesen sei; das glaubst auch du, und darum halte für gewiss, dass beide bei Gott viel vermögen, und dass meine Liedlein in Krankheiten und Leiden eine gar mächtige und selbst für Heiden und Juden heilbringende Kraft besitzen." Dann lehrte er ihn das Vaterunser und das Ave.
Der Kranke war sehr schwach und schien nicht imstande zu sein, etwas von den Gebeten zu behalten. Deshalb flehte der Heilige für diese unglückliche Seele mit heißen Tränen zu Gott. Unterdessen hatte Eliodatus etwas geschlummert; als er erwachte, sagte er das Vaterunser und Ave auswendig mit einer Sicherheit her, als lese er aus einem Buch. Voll Verwunderung und freudigen Dankes gab Dominikus ihm noch einige Lehren und Ermahnungen und verabschiedete sich. Der Kranke fing sofort an, seinen ersten "Rosenkranz" zu beten, und siehe, nach Vollendung desselben wurde sein Herz mit einem solchen Trost erfüllt, dass er die Wonnen des Paradieses zu kosten vermeinte. Am anderen Tag sang er sein Liedlein mit größerem Vertrauen und mit der Andacht, wie sie ein Sarazene nur immer haben kann. Der Lohn dafür war eine wunderbare Stärkung seiner Glieder. So betete er täglich weiter und fasste bald den festen Entschluss, nach seiner Genesung sich taufen zu lassen. Als er am sechsten Tag sein Liedchen gesungen hatte, wurde ihm ein Gesicht zuteil. Er sah das göttliche Gericht und fühlte, wie demnächst mit vielen andern auch über ihn der schreckliche Urteilsspruch des höllischen Verderbens gefällt wurde. Zugleich aber sah er auch, wie in demselben Augenblick eine über alle Maßen herrliche Frau und glorreiche Königin sich dem göttlichen Richter kniefällig, für ihn Fürsprache einlegend, zu Füßen warf. Der Richter aber sprach: "Was hat dieser denn Gutes getan?" Die Frau erwiderte: "In den letzten sechs Tagen hat er sechs Rosenkränze mit inbrünstiger Andacht gebetet." Darauf wurde das Urteil zurückgenommen.
Hocherfreut erwachte der Jüngling, und vollkommen gesund erhob er sich von seinem Lager. Sein erster Wunsch war der Empfang der heiligen Taufe, die ihm in Anbetracht des großen Wunders einer so schnellen Heilung und der gänzlichen Umgestaltung seiner Gesinnung auch bald erteilt wurde. Mit ihr erhielt er die Freiheit wieder. Er wurde ein ausgezeichneter Katholik, ein glühender Verehrer der allerseligsten Jungfrau und ein eifriger Förderer des hochheiligen Rosenkranzes. Durch eine besondere Fügung Gottes kam er in den Besitz eines fürstlichen Vermögens, das er nach den Anweisungen des hl. Dominikus, seines größten Wohltäters und Erretters vom zeitlichen und ewigen Verderben, für Almosen, Stiftungen von Hospitälern und andere christliche Werke verwandte. Sein frommes Leben beschloss er mit einem seligen Tod um die Mitte des 13. Jahrhunderts. (Nach dieser Erzählung nennt St. Dominikus den Rosenkranz die 150 Ave-Liedchen.)
(Marianischer Psalter, 12. Heft, 1879)
(hl. Vinzenz Ferrer)
8. Wider Willen gerettet
Der fromme Verfasser des Buches "Geheimnis um alle Gnaden zu erlangen", erzählt zu Ehren des heiligen Rosenkranzes, dass der heilige Vinzenz Ferrerius eines Tages zu einem Sterbenden, der an seiner Seligkeit verzweifelte, sprach: "Warum willst du dich denn ins Verderben stürzen, da Jesus Christus dich doch selig machen will?" Jener antwortete, dass er Jesus Christus zum Trotz verdammt werden wolle. Hierauf sprach der Heilige: "Du wirst dennoch dir selber zum Trotz selig werden." Da fing der heilige Vinzenz an, mit den Hausbewohnern den Rosenkranz zu beten, worauf der Sterbende sogleich zu beichten verlangte, unter vielen Tränen die heilige Beichte ablegte und in diesen Gesinnungen starb.
"Die Herrlichkeiten Mariä", St. Alphons Maria von Liguori, 1854, S. 425)