Unsere Liebe Frau vom Heiligsten Herzen

 

31. Mai

 

Vielleicht ist kein Fest Mariens so geeignet, die intimsten Beziehungen zu erlauschen, die einst zwischen den heiligsten Personen, Jesus und Maria, schwangen und immer noch schwingen, als das Fest: Frau vom Heiligsten Herzen Jesu. Herz Jesu weist ja hin auf die Wesensmitte unseres Herrn, auf seinen letzten und tiefsten Grund, aus dem als dem Quell all das geflossen ist, was ihm zu dem Schönsten der Menschenkinder gemacht hat, was die Triebfeder seiner Handlungen war, durch die er uns erlöst hat. Sein Herz ist ja der Feuerofen der göttlichen Liebe.

 

Wir sind gewohnt, im Verhältnis Jesus zu Maria zu sehen: die Mutter mit dem Kinde lieb. Wir erfreuen uns – und das mit Recht – an der reinen und starken Mutterliebe Mariens. Wir bewundern in Mariens Gnadengaben – und das wiederum mit vollem Recht – die Liebe eines göttlich reichen Kindes zu seiner Mutter. Es lässt sich jedoch gerade an dem Mutter-Kind-Verhältnis noch eine weniger beachtete Seite finden, die aber besonders für Jesus und Maria eigentümlich ist. Niemals nämlich hat es sonst eine Mutterschaft gegeben, bezüglich derer das zu gebärende Kind schon vorher Dasein besessen hätte, in der infolgedessen das Kind sich seine Mutter höchstpersönlich hätte auswählen können. In Mariens Mutterschaft ist es aber so; Gottes Sohn ist ja von Ewigkeit. Er selbst war es, der Mensch werden wollte. Er war es, der seine Mutter sich erkor. Er war es, der gnädiglich zu ihr sich niederbeugte und sie zu sich emporhob. Er war es, der die seligste Jungfrau herrlich schmückte, damit sie neben ihm stehen und mit ihm wirken könne an dem großen Werk der Menschheitserlösung.

 

Wer dächte da nicht an das Wort aus dem Beginn der Menschheitsgeschichte: „Lasst uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm gleicht!“ Das eben sollte Maria dem menschwerdenden Gottessohn sein: eine Gehilfin, die ihm gleicht, eine Braut, die der himmlische Bräutigam für sich erzog. Maria erscheint uns so als die neue Eva, die neben den neuen Adam tritt, um im Verein mit ihm das himmlische Stammpaar einer neuen Menschheit zu sein.

 

„Die ihm gleicht.“ Nach welch anderem Vorbild hätte denn Christus seine Herzensbraut bilden sollen, wenn nicht nach dem Vorbild seines eigenen heiligsten Herzens? Wie hätte Maria ihm gleichen können, wenn er nicht in ihr sein Wort wahrgemacht hätte: „Lernt von mir!“ Christus wäre ein gar schlechter Seelenbräutigam, wenn er nicht, wie es jeder hochstehende und reiche Fürst tun würde, der seine Liebe einem armen Mädchen geschenkt hat, den ganzen Reichtum seiner göttlichen Fülle über Maria ausgegossen hätte.

 

Frau vom Heiligsten Herzen – das führt in die letzten Liebesgeheimnisse ein, die zwischen beider Herzen schweben: dem heiligsten Herzen Jesu und dem reinsten Herzen Mariä. Frau vom Heiligsten Herzen – das lässt hineinhorchen in die heiligste Gemeinschaft zwischen Gott und Geschöpf.

 

Kirchengebet

 

Herr Jesus Christus, Du willst durch die Vermittlung der seligsten Jungfrau Maria die Schätze Deines Herzens in uns ausgießen: gib uns, bitte, dass wir in Deinem Erbarmen erlangen mögen, was wir in der Verehrung dieser Jungfrau erflehen. Amen.

 

Zur Geschichte des Festes: Am Tag der Dogmaverkündigung der Unbefleckten Empfängnis (8. Dezember 1854) beendete der seeleneifrige junge Priester Chevalier, Vikar von Issoudun (Frankreich), eine für seine Zukunft entscheidende Novene. Er suchte nämlich Klarheit und Sicherheit in seinem Drang zur Gründung einer Ordensgemeinschaft zu Ehren des heiligsten Herzens Jesu, in der auch die Gottesmutter besondere Verehrung finden sollte. Sein Biograph erzählt nun folgendes: Nach dem Hochamt, am 8. Dezember 1854, kommt jemand in die Sakristei und überreicht dem Herrn Vikar im Auftrag einer Person, die nicht genannt sein wollte, 20.000 Franken mit der Zweckbestimmung, die Summe für ein gutes Werk, am besten für eine Missionsgesellschaft, zu verwenden. Das war für Chevalier das äußere Zeichen, das er sich von der Gottesmutter erbeten hatte. Nun ging er ans Werk. Bereits am 8. September 1855 war die Gründung geschehen, und die junge Gemeinschaft erhielt den Namen „Missionare vom Heiligsten Herzen“.

 

In der Erfüllung des zweiten Teiles seines Versprechens (nämlich der besonderen Verehrung Mariens) eiferte Chevalier für die Anrufung der Gottesmutter unter dem Titel „Unsere Liebe Frau vom Heiligsten Herzen“. Mit dieser Inschrift am Sockel einer Marienstatue wurde 1860 in der Klosterkirche ein Marienaltar errichtet, und am 31. Mai 1865 wurde zum ersten Mal in der Genossenschaft das Fest „Unserer Lieben Frau vom Heiligsten Herzen“ gefeiert, erlaubt durch ein päpstliches Breve vom Jahr 1864. Der 31. Mai wurde gewählt als Vollendung des Maimonats und als Vorbereitung und Überleitung zum Herz-Jesu-Monat. Eine Bruderschaft unter dem gleichen Titel wurde 1879 zur Erzbruderschaft erhoben und gewann Millionen von Mitglieder. Am 12. November 1881 führte Leo XIII. dieses Fest in das Kalendarium ein.

 

(„So feiert dich die Kirche“, Prof. Dr. Carl Feckes, Maria im Kranz ihrer Feste, Steyler Verlagsbuchhandlung, 1957)