Mutterschaft Mariä
11. Oktober
„Den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast.“
Maria hat auf der Reise nach Jerusalem den zwölfjährigen Jesus verloren und ihn nach dreitägigem Suchen in Jerusalem wiedergefunden.
Vierhundert Jahre später hat Maria den göttlichen Sohn fast zum zweiten Mal verloren, zwar nicht in der Wirklichkeit, wohl aber im Glauben der Menschen. Es trat nämlich ein Irrlehrer auf, Nestorius mit Namen, der behauptete, dass Maria im Stall zu Bethlehem einem gewöhnlichen Menschenkind, nicht aber dem Gottessohn das Leben geschenkt habe. Das war ein abscheulicher Irrtum. Der Mann erdreistete sich, der allerseligsten Jungfrau die Krone der Gottesmutterschaft vom Haupt zu reißen. Es war eine Kühnheit und Frechheit sondergleichen, so dass sich die einfachen Gläubigen, die gewöhnlich die Klärung etwaiger Unklarheiten in Glaubenssachen vernünftigerweise den Priestern und Bischöfen überlassen, über den Schimpf, den Nestorius der Mutter Gottes antat, hell entsetzten und stürmisch verlangten, dass über den Irrlehrer der Kirchenbann ausgesprochen und dass die verletzte Ehre der Mutter Gottes wiederhergestellt werde.
So geschah es auch. Im Jahre 431 wurde eine Allgemeine Kirchenversammlung aller katholischen Bischöfe nach der Stadt Ephesus in Kleinasien einberufen, wo bekanntlich die liebe Mutter Gottes, vom Lieblingsjünger Johannes treu behütet, die letzten Lebensjahre verbrachte. Zweihundert Bischöfe erschienen, und in gelehrten Reden besprachen sie die Sache. Nestorius kam in den Bann, und die gesunde und wahre Lehre der katholischen Kirche wurde in einem einzigen und ganz klaren Wort treffend zum Ausdruck gebracht, und dieses Wort heißt „Gottesgebärerin“. Vordem kannte man das Wort weniger, aber seitdem ist es allen Katholiken aus dem Herzen gesprochen und im Mund geläufig. Damit war Mariens Ehre, Gott sei Dank, voll und ganz wieder hergestellt.
Es war schon Nacht, als die Glaubensentscheidung erfolgte. Draußen vor dem Dom, in dem das Konzil tagte, drängte sich das Volk und wartete und harrte aus, und als bekannt wurde, dass Maria doch die Krone der Gottesmutterschaft trage, die frevelhafte Hände ihr vom Haupt reißen wollten, da brach ein gewaltiger Jubel aus. Manche weinten vor Freude, selbst Unbekannte fielen sich gegenseitig um den Hals. Marienlieder erfüllten die Luft, Fackeln entzündeten sich, Weihrauch stieg hoch, und den rechtgläubigen Bischöfen wurden in reichem Maß Dank und Verehrung bezeugt. Vor allem freuten sich die Frauen und Mädchen darüber, dass die Vornehmste aus ihrem Geschlecht, die der Frauen Krone und der Mädchen Kranz ist, nach der Lehre der unfehlbaren Kirche blieb, was sie war, eben die Gottesgebärerin, die Mutter Gottes. Das war der glorreiche Marientag von Ephesus.
Als sich zum fünfzehnhundertsten Mal der Marientag von Ephesus jährte, hat Papst Pius XI. an Weihnachten 1931 das Fest der Mutterschaft von der allerseligsten Jungfrau eingeführt, und dafür wollen wir ihm von Herzen danken, denn als Marienkinder tun wir nichts lieber als Marienfeste feiern, und gerade dieses Marienfest feiern wir deswegen so gern, weil aus der Mutterschaft Mariä alle anderen hohen und einzigartigen Gnadenvorzüge der Mutter Gottes hervorgehen, so dass darauf unsere schöne Marienverehrung wie auf einem unerschütterlich festen Fundament begründet ist.
Von der Liebe zu Maria
Die Liebe, die Gott zu Maria hatte, bewog ihn, ihr all die Vorzüge zu geben, die sie auszeichnen konnten. Gott liebte sie so, dass er ihr auf Erden und im Himmel den ersten Rang nach sich gab. Nichts gibt es im Himmel und auf der Erde, was wir nach Gott mehr lieben als Maria. Auch die Heiligen und Gerechten aller Zeiten haben ihr nach Jesus den ersten Platz in ihrem Herzen gegeben. Die heiligen Väter sagen uns sogar, dass man sich umsonst rühmt den Sohn zu lieben, wenn man die Mutter nicht liebt; und dass diese zweifache Liebe unzertrennlich ist. Sie stellen uns die Liebe, die wir zu Maria haben, als den allersichersten Beweis unserer Auserwählung, als eines der kostbarsten Geschenke der Gnade vor. Aber spricht nicht schon die Liebe, die Maria zu uns hat, ohne Unterlass von der Liebe zu ihr? Denn ihre Liebe untersucht genau unsere Bedürfnisse. Sie nimmt teil an unseren Traurigkeiten. Sie kommt unseren Bitten zuvor. Sie erträgt unsere Fehler. Sie vergisst unsere Undankbarkeit. Wie groß muss daher unser Bestreben sein, ihr genau so eine große Liebe zu erweisen? Lasst uns alle Gelegenheiten nutzen, Maria zu gefallen. Nichts soll uns zu klein sein, wenn es ihren Dienst betrifft. Alles ist groß und wichtig, wenn es Maria betrifft, die Mutter Gottes, die Herrscherin der Welt. Mit Eifer wollen wir daher all das tun, was zu ihrer Verehrung dazu gehört, und bei anderen Ehre und Liebe zu ihr zu erregen. Schön wäre es, wenn man uns unter die Zahl ihrer Verehrer zählen würde. Deshalb wollen wir so oft als möglich unseren Geist und unser Herz bis zu ihrem Thron erheben, um entweder ihre Vollkommenheit und Hoheit zu bewundern, oder um ihren Schutz zu erbitten. In Almosen und anderen Liebeswerken, in Fasten und Beten wollen wir uns üben, um Maria durch die Nachahmung ihrer Tugendwerke zu ehren. Um sie noch besser zu verehren, sollten wir auch an ihren Festtagen die Sakramente empfangen und manchmal eine Messe lesen lassen für eine Seele, die uns am Herzen liegt. Öfters sollten wir auch eine Kirche besuchen, die zu Mariens Ehre geweiht ist. Mit Andacht und Liebe verehren wir ihre Bilder, die Personen und Orte, die ihr besonders geweiht sind, besuchen öffentliche Andachten, die von ihren Tugenden und Vorzügen handeln. Davon soll jedes christliche Herz erfüllt sein. Auf diese Art zeigt sich ein Kind Mariens, um ihr seine Liebe zu beweisen.
Mächtige Beschützerin, zärtliche Mutter der Menschen, o Maria, in meinem Herzen liest du, dass ich in all dem treu sein will. Ich danke dem Herrn für die Empfindungen der Liebe, die er zu dir mir in mein Herz legt. Und da er sie mir in mein Herz gelegt hat, so ist es ein sicherer Beweis seiner Liebe zu mir. Könnte ich doch den Engeln in ihrer Verehrung für dich den Rang ablaufen! Allein dieses Glück ist nur für den Himmel vorbehalten.
Matthias Hergert
Fest der Mutterschaft Mariä am 11. Oktober
Es gibt so viele Titel, mit denen wir Maria ehren. Es gibt so viele Gnaden, mit denen der Herr sie geziert hat. Aber nichts geht über jenen Urtitel hinaus, den wir schon in der Heiligen Schrift finden: Mutter des Herrn. Es bleibt Mariens ewiger Ruhm, es bleibt ihre wichtigste Stellung im Heilsplan Gottes, dass sie Mutter des Erlösers sein durfte. Mit niemand hat sie diese Stellung auch nur im Entferntesten zu teilen. Für alles andere, mit dem Gott sie ausgezeichnet hat, für jede andere Aufgabe, die der Höchste ihr noch übertragen hat, bleibt immer Grundlage und Ausgangspunkt ihre Gottesmutterschaft. „Maria mit dem Kinde lieb“, das besagt dem gläubigen Gemüt alles.
Wenn schon Mutterschaft zum Feinsten und Lieblichsten gehört, was die Menschenwelt kennt, wenn schon die Mutterliebe zu dem gehört, was die Dichter so sehr verherrlicht haben, was soll dann von einer Mutterschaft gelten, die als Gottesmutterschaft auf einer schwindelerregenden Höhe steht! Wie könnte man überhaupt jene Mutterliebe fassen, die im Herzen der ganz reinen, der tief begnadeten, der einzig auf ihr göttliches Kind bezogenen Mutter blühte!
Darum darf dieses einzigartige Bild niemals unserem Gesichtskreis entschwinden. Nie darf es von den anderen Bildern Mariens in den Hintergrund gedrängt werden. Es trägt nämlich unseren Christusglauben in sich. Es garantiert uns die Wahrheit und Echtheit unserer Erlösung. Es bleibt uns immer Sicherung der unvorstellbaren Liebe Gottes zu uns.
Maria ist wahrhaft und ganz echt Mutter Christi. In nichts hat sie weniger zur Erzeugung und zum Gebären ihrer heiligen Leibesfrucht beigetragen als andere Mütter. Das unvergleichbare Band, das eine Mutter mit der Frucht ihres Schoßes für immer verbindet, verbindet Maria mit Christus und Christus mit ihr. Wenn man vielleicht sagen könnte, dass vom Muttersein anderer Mütter etwas abgetragen wird, dadurch dass sie vorher und nachher des Mannes sein muss, so ist Maria einzig und allein auf ihr Kind ausgerichtet. Eine ungeteilte, eine vollkommene Liebe gehört ihrer heiligen Leibesfrucht.
Daraus verstehen wir, wenn die Lauretanische Litanei diese einzigartige Mutterschaft in immer neuen Wendungen preist: Reinste Mutter! Keuscheste Mutter! Unbefleckte Mutter! Ungeschwächte Mutter! Liebliche Mutter! Wunderbare Mutter!
Wieviel Liebliches, wieviel Tröstliches, wieviel Erbauliches, wieviel Geheimnisvolles würde unserem Glaubensleben verlorengehen, wenn ihm die Mutter mit dem Kinde lieb verlorenginge!
Kirchengebet
O Gott, Du wolltest, dass Dein Wort auf die Botschaft des Engels hin im Schoß der seligen Jungfrau Maria Fleisch annehme; so gewähre denn unsere Bitte und lass durch ihre Fürsprache bei Dir uns Hilfe finden, die wir sie gläubig als wahre Gottesmutter bekennen. Amen.
Zur Geschichte des Festes: König Emanuel von Portugal war ein großer Marienverehrer. In seiner argen Bedrängnis (durch ein Erdbeben und einen Krieg mit Spanien u.a.) suchte er Hilfe bei der Gottesmutter. 1751 erhielt er die erbetene Erlaubnis, am ersten Sonntag im Mai in seinem Land das Fest der Mutterschaft Mariens zu feiern. In den kommenden Jahren baten auch andere Länder um diese Gunst. Vielerorts wurde es jedoch am 2. Sonntag im Oktober gefeiert. Pius X. ließ in seiner Reform, die die Bedeutung der Sonntage herausstellen wollte, dieses Fest fallen. Dann aber kam im Jahr 1931 die 1500-Jahr-Feier des Konzils von Ephesus (431). Auf diesem bedeutsamen Konzil wurde gegen die Irrlehre des Nestorius der Glaubenssatz verkündet: Die allerseligste Jungfrau Maria ist in Wahrheit Mutter Gottes. Eine ungeheure Begeisterung erfasste die gläubigen Scharen von Ephesus und die ganze Christenheit. Damit nun die Erinnerung an dieses bedeutsame Ereignis lebendig bleibe, setzte Pius XI. in seiner herrlichen Enzyklika „Lux veritatis“, vom 25. Dezember 1931, für die ganze katholische Kirche das Fest Mariä Mutterschaft ein, und zwar als Doppelfest zweiter Klasse, mit eigenem Messformular, eigenen Tagzeiten und Angaben im Martyrologium. Als Festtag bestimmte er den 11. Oktober.
(„So feiert dich die Kirche“, Prof. Dr. Carl Feckes, Maria im Kranz ihrer Feste, Steyler Verlagsbuchhandlung, 1957)