Maria im Advent
Im Advent
Nur noch wenige Tage trennen uns vom hochheiligen Weihnachtsfest. Damals vor über zweitausend Jahren kniete Maria am heutigen Tag daheim zu Nazareth und erwartete in hoher Freude das Christkind. Frohbeglückt zählte sie bereits die Tage, die bis zur Heiligen Nacht noch verstreichen mussten.
Maria war alleine, versunken im Gebet:
Emanuel, erscheine, dich kündet der Prophet!
O Davids Sohn, wie gern möcht` ich dich schau`n
Und dienen deiner Mutter, der Königin der Frau`n!
Kyrie, eleison!
Maria wusste, dass sich in wenigen Tagen die Zeit erfüllte. Nur darüber war sich die Hochgebenedeite noch im Unklaren, wo das göttliche Kind geboren werde. Bereits vor siebenhundert Jahren hatte der Prophet Micha verkündet:
„Du aber, Betlehem, einst Ephrata genannt! Du bist ja zu gering, um unter Judas Gauen mitzuzählen. Aus dir entsprießt mir aber einer, um der Herrscher über Israel zu werden. Sein Ursprung stammt aus grauer Zeit, aus alten Tagen. Nur deshalb gibt man sie so lange hin, bis eine, die gebären soll, gebiert.“
So hatte Micha deutlich Betlehem als den Geburtsort des lieben Heilands bezeichnet, und zutiefst verstand Maria die Weissagung. Wie aber sollte es nach den klaren Worten des Propheten geschehen, dass der Erlöser zu Betlehem geboren werde, da sie, die Gebärerin, doch zu Nazareth wohnte und weilte und keinen Anlass hatte, nach Betlehem zu reisen.
Darüber machte sich Maria Gedanken, während nebenan in der Zimmermannswerkstatt der heilige Joseph hobelte und hämmerte, dass ihm der Schweiß von der Stirn rann. Zwischendurch summte der emsige Arbeiter ein Lied:
O komm, o komm, Emanuel!
Mach frei dein armes Israel!
In Angst und Elend liegen wir
Und flehn voll Sehnsucht auf zu dir.
Freu dich! Freu dich, o Israel!
Bald kommt, bald kommt Emanuel.
Da öffnete sich die Tür der Werkstatt. Nein, sie öffnete sich nicht, sondern flog knallend aus dem Schloss sperrangelweit auf, und im Torrahmen stand der Nachbar Levi, ein Mann hoch in den Fünfzigern, mit kahlem Kopf und angesilbertem Bart. Auf den ersten Blick sah man es ihm an, dass der Zorn in ihm überkochte. Und schon legte er los:
„Joseph, weißt du das Neueste? Es ist doch unerhört! Diese unverschämten Römer! Stets quälen sie uns mit neuen Verordnungen, und jeden Tag gibt es frischen Ärger, aber bei dem, was sie sich jetzt wieder geleistet haben, soll einem doch der Verstand stillstehen. Joseph, weißt du wirklich noch nichts?“
So sprach Levi laut und stürmisch, aber Joseph hatte keine Ahnung. Nur das wusste er, dass dem anderen tatsächlich der Verstand stillstand. Daher redete er begütigend auf den Nachbarn ein und bat ihn um Aufklärung. Levi gab sie ihm sogleich und erzählte breit und ausführlich, dass der Kaiser in Rom eine Volkszählung angeordnet habe; alle Leute müssten sich an ihren Familienstammort begeben und sich dort einschreiben lassen. Das sei wieder einmal eine unnötige Schikane von echter Römerart. Er, der Sprecher, habe es wohl leicht, denn seine Familie sei von jeher ortsansässig, aber andere müssten nun wandern, kreuz und quer durch das ganze Land, und auch er, Joseph, habe alle Arbeit liegen zu lassen und mit der Gattin nach Bethlehem zu ziehen, ausgerechnet in diesen Tagen, da das Kindlein geboren werden sollte. So sprach Levi und geriet allmählich wieder ins Schimpfen und Poltern und mit den Worten: „O diese Römer! O diese Römer!“ verschwand er schließlich wie ein Sturmwind aus der Werkstatt.
Da trat Joseph ins Kämmerchen zu Maria, die von dorther die erregten Worte Levis mitangehört hatte, und verständnisinnig sahen sich die beiden lächelnd an. Der Zimmermann überlegte still und sagte dann kurz und entschlossen:
„Maria, bis Betlehem dauert die Reise viereinhalb Tage. Wenn wir morgen zur Mittagszeit aufbrechen, sind wir genau zur rechten Zeit dort.“
Also geschah es auch. Und nun wusste Maria ganz bestimmt, wo ihr Kind geboren werden sollte und dass Weihnachten vor der Tür stand.
O diese Freude!
Vom heiligen Josef
Vom heiligen Josef kann man keine Taten erzählen, die viel Lärm machen in der Welt oder die in der Welt ein glitzerndes Aussehen haben. Auch können wir von ihm keine hohen Erscheinungen, Weissagungen künftiger Dinge oder Wunderwerke erwarten. Der heilige Josef hat gern Werke verrichtet, die Gott ihm vorlegte. Gott verlangte von ihm eben keine Werke, die in den Augen der Welt glänzen, sondern ganz alltägliche, teils verborgene Werke. Und Josef hörte auf Gott.
Als Josef schläft, steigt ein Engel zu ihm herab. Im Schlaf deutet er ihm den Willen Gottes. „Steh auf“, sagt er zu dem Schlafenden, „steh auf und nimm das Kind und seine Mutter und fliehe nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir es sage. Denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten.“ Ein Befehl Gottes, der gleichsam schrecklich und seltsam ist. Wurde Josefs Glaube erschüttert? „Wie stimmt dieser Befehl mit dem Wort überein, das der Engel über die künftige Größe des meiner Sorge anvertrauten Kindes gesagt hat? In diesem Kind soll die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnen, und vor den Nachstellungen eines Tyrannen soll es nicht sicher sein? Hat denn der Himmel keinen Donner mehr, das Haupt des rasenden Herodes zu zerschmettern, um mit dem Leben des Wüterichs ein Ende zu machen? Wo ist der Würgeengel, damit er Schrecken und Tod unter die ausgeschickten Mörder verbreite? Kann nicht die Wiege dieses Kindes mit einer undurchdringlichen Wolke umhüllt sein? Können nicht die Feinde mit Feuer vom Himmel aufgezehrt werden? Hat doch Gott durch solche Mittel seine Diener beschützt, und der eigene Sohn soll fliehen wie ein normaler Mensch, dem seine Feinde nachjagen?“ Solche Unruhe könnte durch den Befehl zu fliehen in Josef ausgelöst werden. Zudem soll er ausgerechnet nach Ägypten fliehen, in das Land, wo seine Väter in der strengsten Gefangenschaft litten, in ein Land, welches den wahren Gott missachtet und vor Kälbern die Knie beugt, in ein Land, dessen König vielleicht nicht menschlicher als Herodes in der Heimat ist. Auch was die Zeit betrifft kann Josef Angst bekommen. „Bleib“, sagt ihm der warnende Engel, „bleib in Ägypten, also im Elend, und kehre nicht zurück bis ich es dir sage.“ Dieser Trost, um das Ende der Not zu wissen, auch er ist dem Pflegevater Jesu vorenthalten. Außerdem war ihm der Engel im Schlaf erschienen! „War es nicht ein Traum? War es Einbildung? Ist die Phantasie mit mir durchgegangen?“
Der heilige Josef aber ließ sich nicht irremachen, er dachte nicht einmal daran. Vernunft und Nachdenken waren bei ihm Gott geopfert, der durch seinen Engel mit ihm geredet hatte. Kaum hat der Schlafende den Befehl gehört, so weckt ihn sein gehorsames Herz, er verlässt sein Nachtlager, ruft Maria, erklärt ihr den Willen des Herrn, und beide machen sich sofort reisefertig. Kein Aufschub! Kein vernünftiges Überlegen! Kein Beratschlagen findet bei ihnen Platz! Sie nehmen ihr himmlisches Geschenk, das Jesuskind, und brechen noch in der Nacht auf in Richtung Ägypten. Schauen wir die fliehenden Eltern an: ohne Vorrat, ohne Führer, ohne Mittel und anderes Gepäck, bloß mit ihrer Armut überladen, von einer Wüste in die andere wandernd, und durch die Gegenwart ihres Kindes die gruseligsten Orte heiligend, sehen wir sie. Wechselweise tragen sie das Jesuskind, das Glück, das Heil der Welt. Sie tragen den, der eines Tages sagen wird: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!“ Wir sehen sie, wie sie nach tausend Beschwernissen der Reise, wie Übeltäter in einem fremden Land ankommen, hier eine Zuflucht zu suchen, die sie in Bethlehem, in ihrem Vaterland, nicht finden konnten. Hier erwarteten sie nun in aller Ruhe die nächste Nachricht des Engels. Es ist fast schon ein blinder Gehorsam dem Herrn gegenüber, den wir beim heiligen Josef beobachten können.
Wie ist nun unser Herz beschaffen? Richtet es sich nach dem Willen Gottes? Nimmt es seine Gebote freudig auf? Und ist unser Herz so eilig, diese schnellstmöglich zu erfüllen? Wären wir doch so schnell beim Erfüllen der kleinsten Gebote, wie Josef es bei den schwersten war!
Es ist ein Gesetz der Welt sein Ansehen zu verteidigen, und viele verteidigen es bis auf ihr Blut. Es ist ein Gesetz der Welt für den Wohlstand zu leben, und viele unterstützen das mit ungeheurem Aufwand. Die Welt befiehlt, und viele überwinden alle Hürden! Gott befiehlt, und wir machen Einwendungen, wir überlegen, ob wir gehorchen wollen. Und wenn wir uns auch seinen Geboten unterwerfen, wenn wir seinen Willen tun, so geschieht es doch öfters wegen unseres zeitlichen Nutzens, wegen einer vorbeirauschenden Ehre. Das menschliche Ansehen treibt uns an, treibt uns weit mehr zu der Beobachtung der Gebote, als der Wille Gottes selbst.
Nein, so war der Gehorsam des heiligen Josef nicht. Sein Gehorsam war ein reiner Gehorsam, rein in der Absicht. Er hat nicht sich selbst, sondern er hat Gott allein, Gottes Willen, Gottes Ehre gesucht.
Er hätte nur wenige Worte sprechen brauchen und er hätte sich beim Volk höchstes Ansehen erworben. Er hätte nur sagen brauchen: „Mein Kind ist der Messias und ich bin sein Pflegevater.“ Diese wenigen Worte hätte es gekostet und er hätte ein königliches Ansehen gehabt. Allein der heilige Josef, der Gemahl der demütigsten Jungfrau, der Nährvater des erniedrigten Gottes, schweigt, er schweigt dreißig Jahre. Jerusalem kennt ihn nicht, es weiß nichts von ihm. Nazareth kennt ihn zwar, aber auch nur als einen Handwerker, der zu tun hat, wenn er sich und seiner Familie das Leben erhalten will.
So uneigennützig war das Herz des heiligen Josef. So wenig hat er sich, hat er seine eigene Ehre, seinen Nutzen gesucht. Gott allein hatte er vor Augen. Gottes Geboten und Befehlen allein wollte er gehorchen. Wenn Gott sprach, hat Josef gehört.
Matthias Hergert