Die Mariensäule zu Lizzana

 

(Aus: Die Sagen Österreichs von J. P. Kaltenbaek, 1845)

 

Es steht nicht weit von der Kirche in dem Dorf Lizzana in Tirol eine Säule von Stein aufgebaut, in welcher ein schlichtes Bild Unserer Lieben Frau gemalt gewesen. Weil man aber für diese Säule nicht viel Sorge getragen hat, ist sie schier gänzlich von Dornen und Disteln überwachsen worden. 

 

Zu dem Marienbild dieser Säule hatte einer, des Namens Andreas Rossi, der, an beiden Füßen krumm, sich der Krücken bedienen musste, eine besondere Andacht. Er gelobte: "Wenn er die Gesundheit erhalte, wolle er die Dornen und Disteln ausreuten und das Bild auf seine Kosten mit frischen Farben, weil sie erloschen, wieder erneuern lassen." Darauf hat er alsbald die Gesundheit erlangt und die Krücken bei der Säule aufgehängt. Dann berief er den Maler Jonas von Roveredo, der, selbst auch an den Händen krumm, kaum den Pinsel führen konnte. Aber in diesem Augenblick, als er zu malen begonnen, empfand er, dass die krumme Hand recht und gerade wurde. Als dies alles Dominica Millano, eine adelige Frau von Roveredo, die schon lange Zeit blind gewesen war, erfuhr, ließ sie sich ungesäumt zu dieser Säule führen, betete inbrünstig vor derselben, erhielt ihr Augenlicht und ist mit Freuden wieder heimgekehrt.

 

Diese drei Wunder haben sich im Jahr 1602 zugetragen und großen Zulauf des Volkes verursacht, wie auch den tridentischen Generalvikar bestimmt, dass er den Erzpriester zu Lizzana, Alexius Thomasius, zu einem Comissär über diese Säule bestellt, der am 1. Juni die ganze Umgebung der Säule reinigen und eine hölzerne Kapelle darüber erbauen ließ. Er hat auch in rechtmäßiger Weise die drei wundersamen Ereignisse untersucht und diese beschrieben, und die Urkunde dem Herrn Bischof von Trient, Carl von Madruzz, überschickt, der alles approbiert und gut geheißen hat.

 

Nun ist bald statt der hölzernen eine Kirche aus Stein über diese Stätte erbaut und im Mai 1626 eingeweiht worden. Die Säule steht mit ihrem Bild auf dem Hochaltar. Er besitzt zwei zierlich vergoldete Flügel, mit denen man, wenn es je vonnöten sein sollte, das heilige Bild zudecken und einschließen kann.

 

Carlo Gaudenzio Kardinal Madruzzo